Warum in Arnsdorf ein Sühnekreuz errichtet wurde (Arnsdorf)

Links vom Hauptweg zum Arnsdorfer Kirchhof befindet sich noch heute ein Sühnekreuz aus dem Mittelalter. Über den Grund der Aufstellung dieses Kreuzes erzählten alte Leute aus dem Ort folgende Geschichte:

Einst kamen in der Sommerzeit aus südlicher Richtung zwei Handwerksburschen gewandert, um auch in Arnsdorf alle Türen abzuklopfen; denn sie wollten sich auf diese Weise, wie schon in anderen Dörfern getan, ihr Zehrgeld für die weitere Reise nach dem Norden noch etwas vergrößern. Unter einem schattigen Baum in der Nähe der Kirchhofsmauer setzten sie sich nieder, und jeder überzählte die zusammengekommene Barschaft.
Nun stellte sich beim Zählen heraus, dass der jüngere Geselle eine Kupfermünze, wahrscheinlich war es ein Kreuzer, mehr im Beutel hatte. Der andere begehrte aber selbst diese Münze, weil er der ältere wäre. Darüber gerieten beide in einen heftigen Streit. Zum Schluss gingen sie sogar mit ihren Messern aufeinander los und stachen sich gegenseitig dermaßen in den Leib, dass zuerst der jüngere und gleich danach der ältere Geselle tödlich verletzt zu Boden sank.
Als einige Leute des Dorfes den Streit bemerkten und die Kampfhähne auseinanderbringen wollten, war es leider schon zu spät. In dem einen war gerade nur noch soviel Leben, dass er mit letzter Kraft die Veranlassung des unglückseligen Zweikampfes erzählen konnte, bevor auch er seine Seele aushauchte.
Auf dem Arnsdorfer Friedhof fanden beide Handwerksgesellen in einem gemeinsamen Grab ihre letzte Ruhestätte. An der Stelle aber, wo die Streitenden wegen eines Kreuzers zu Tode kamen, setzte man später ein steinernes Kreuz, in das ein Schwert eingemeißelt wurde als damaliges Zeichen einer grausigen Bluttat.

Wie der Berggeist dem Müller aus seiner Bedrängnis half (Hilbersdorf)

Nur wenige Einwohner von Hilbersdorf erinnern sich noch heute an Berichte längst verstorbener Bewohner des Ortes, die davon Kunde gaben, dass es in früheren Zeiten in diesem Dorf eine Windmühle gegeben hatte. Ihr ehemaliger Standort ist sogar auf alten Landkarten unseres Gebietes vermerkt.  Diese Mühle befand sich einst auf dem sogenannten "Kahlen Hügel", weil der Müller für die Erledigung seiner beruflichen Tätigkeit viel Wind benötigte, und dieser weht ja am kräftigsten über freie Flächen. Später wurde der erwähnte Hügel auch als "Windmühlenkuppe" bezeichnet.

Anfang des 17.  Jahrhunderts war Carl von Fürstenau Gutsherr von Hilbersdorf.  Dieser Junker übergab nach dem Tode des alten Müllers die Windmühle auf dem Kahlen Hügel dem jungen Müllermeister Christian Adam.  Der kräftige Mann verstand seine Arbeit sehr gut.  Das Mehl aus seiner Mühle war von ausgezeichneter Qualität.  Deshalb hatte er immer reichlich Kundschaft.  Der damals herrschende "Mühlenzwang" schrieb zwar den Bauern, Gärtnern und Häuslern vor, welche Mühle sie für das Ausmahlen ihres Getreides zu benutzen hatten, weil nämlich die Gutsherren von den Müllern anteilmäßig ihren "Mahlzins" bekamen.

Doch so manches Bäuerlein der Umgebung von Hilbersdorf ließ heimlich bei Christian Adam Getreide mahlen, um etwas feines Mehl für Feiertage oder besondere Anlässe im Haus zu haben.  Außerdem wussten die Bauern auch, dass bei diesem tüchtigen Mann das Sprichwort "Der Müller hat weiße Kleider, jedoch ein schwarzes Gewissen" nicht galt.  Christian Adam verlangte nur den ihm zustehenden Lohn, und bei manchem armen Häusler hatte er sogar auf diesen verzichtet.  Die Bauern konnten sich also bei ihm auf das richtige Gewicht in ihren Mehlsäcken verlassen.  Und was für sie ebenfalls wichtig war: Das Handwerk des Müllers erforderte es, Wind und Wetter genau zu beobachten und sich dabei, was Wettervorhersagen betraf, einige besondere Kenntnisse anzueignen.  Mit diesen konnte Christian Adam so manchem Kunden recht nützliche Hinweise geben.  

So arbeitete der Windmüller nun schon zehn Jahre auf dem Kahlen Hügel zur allseitigen Zufriedenheit. Ihm zur Seite stand seine liebe Frau, die neben der Hauswirtschaft und dem Viehzeug auch auf ihre drei Sprösslinge zu achten hatte, damit ihnen im Mühlengewirr kein Leid geschehe. Mit dem Meister zusammen arbeitete in der Windmühle seit einigen Jahren aber noch ein älterer Geselle, der seinen Beruf ebenfalls sehr gewissenhaft versah. Nun geschah es, dass dieser erfahrene Mann im Januar plötzlich schwer erkrankte und trotz guter Medizin und rührender Pflege durch die Meisterin immer hinfälliger wurde und eines Tages seine Seele aushauchte.

Groß war der Kummer der beiden Müllersleute über den Verlust ihres treuen Gesellen, der auch ihren Kindern ein guter Freund gewesen war. Doch es sollte noch schlimmer kommen. Im Frühjahr herrschte große Kälte, und seit Wochen war kein Wölkchen am Himmel zu sehen, kein Lufthauch zu spüren. Das laute Geklapper der Windmühle musste deshalb verstummen.

"Es gibt immer noch keinen Wind", brummte der Müller verdrießlich.  "Die Bauern sind wintersüber mit dem Dreschen längst fertig und warten auf ihr Mehl.  Aber seit Wochen drehen sich die Flügel meiner Mühle nicht mehr. Was soll ich bloß machen?" knurrte er ärgerlich vor sich her.

Wie er so missmutig und ratlos umherblickte, kam ein alter Mann, gestützt auf einen derben Stock, mühsam die holprige Straße herauf. Bei der Kälte war er unzureichend gekleidet.  Der Fremde bat den Windmüller um etwas Speis und Trank und für die Nacht um eine bescheidene Unterkunft.  Am Tag wollte er weiterziehen, sagte der alte Mann. Christian Adam hatte für Notleidende immer ein offenes Herz, und so gewährte er dem Fremden seine kleine Bitte. Während des Gesprächs beim gemeinsamen Abendbrot erfuhr der Alte, was für Kummer den Müller schon seit Wochen bedruckte.  Er tröstete Christian Adam mit dem Hinweis, dass schon manche Not überraschend ein Ende genommen habe, wenn der Hilfsbedürftige ein guter und ehrlicher Mann gewesen war.  Doch mit diesem Trost wusste der Müller in seiner augenblicklichen Notlage vorerst wenig anzufangen, brauchte doch der Fremde selbst Unterstützung auf seine alten Tage. 

Und wo war sie bei ihm bisher geblieben?  Trotzdem wünschte er dem Mann eine erholsame Nacht, nachdem er vorher noch seiner Frau aufgetragen hatte, den Wanderbeutel des Fremden mit frischem Brot, etwas Käse und einem Stück Räucherfleisch zu füllen. Dann legte Adam sich auch zur Ruhe.  

In dieser Nacht herrschte aber auf einmal in der Mühle ein reges Leben.  Eine Anzahl kleiner Männchen war damit beschäftigt, die großen Windmühlenflügel in Bewegung zu setzen, andere Männchen hievten mittels der Seilwinde die prallen Getreidesäcke in das oberste Stockwerk. Dort nahmen weitere Männlein die Säcke in Empfang und schütteten die Körner in den großen Trichter, die von dort aus zwischen die Mahlsteine gelangten. Unten in der Mahlstube füllte sich allmählich ein Sack nach dem anderen mit feinstem Mehl. Und bevor die Hähne mit ihrem Krähen den neuen Tag ankündigten, war das vorhandene Bauerngetreide ausgemahlen. Von den fleißigen Arbeitern der Nacht gab es aber nicht die geringste Spur.  

Als Christian Adam am Morgen in die Mühle kam, glaubte er noch zu träumen.  Wo gestern Abend noch die vollen Getreidesäcke an den Wänden gelehnt hatten, standen an ihrer Stelle fein ordentlich nebeneinander die fertigen Mehlsäcke der Bauern, Gärtner und Häusler. Was war hier geschehen? Er musste wohl sehr tief geschlafen haben, dass ihn das Klappern der Mühle nicht geweckt hatte, dachte Christian Adam bei sich. Aber wer waren die fleißigen Helfer, die in der Nacht solch feines Mehl herstellen konnten? Auch seine Frau und die Kinder wussten keine Erklärung für dieses nächtliche Wunder.

Da trat zur erstaunten Müllersfamilie der Fremde vom Vortag, dem sie ja Speis und Trank sowie ein gutes Nachtlager gewährt hatten. Doch auch über ihn musste sich der Müller mit seinen Angehörigen wundem.  An Stelle des alten, kleinen, abgehärmten Wanderers stand vor ihm ein großer, wohlgestalteter und gutgekleideter Mann.  Nur die Gesichtszüge erinnerten noch etwas an den Alten vom Vortage.

Zu Christian Adam gewandt sagte er: "Ja, ja, ich bin der müde Wanderer von gestern.  Du hast mich ohne große Fragen über Woher und Wohin mit Nahrung versehen und mir ein gutes Nachtlager gewährt. Dein jahrelanger Fleiß und deine Ehrlichkeit, die Bescheidenheit und Hilfsbereitschaft der ganzen Familie sind mir wohlbekannt und sollte belohnt werden. Deshalb haben die Holzmännchen der Königshainer Berge, die mir zu Diensten sind und von denen ihr bestimmt schon etwas gehört habt, euch aus der unverschuldeten Notlage geholfen. Da an eurer Mühle auch allerhand erneuert werden muss, werden sie wieder mit helfen.  Damit die Männchen wissen, wann sie benötigt werden, steckt meinen Wanderstab oben aufs Mühlendach.  Von dort aus ist er weithin sichtbar.  Und übrigens, seht ihr die aufziehenden Wölkchen am Himmel?  Bald wird es tüchtigen Wind geben.  Da könnt ihr dann wieder in gewohnter Weise an die Arbeit gehen."  

Nach diesen Worten verabschiedete sich der Fremde, der in Wirklichkeit der Berggeist des großen Königshainer Waldgebietes war, von den Müllersleuten. Die Müllerin wollte ihm noch schnell seinen Wanderbeutel mit der Wegzehrung überreichen. Doch verschmitzt lächelnd lehnte der Mann diese ab. Vielmehr bat er, die Tasche als Erinnerung an seinen, kurzen Aufenthalt in der Windmühle zu behalten. Danach schritt er behende die Straße entlang, die mit einem sanften Bogen in den Wald führte.  Bald war er den Augen der Müllersleute entschwunden.

Als die Müllerin in der Küche den Beutel des Fremden wieder entleerte, schnitt sie auch das Brot an, welches dem Mann als Wegzehrung dienen sollte.  Wie erstaunt und zugleich glücklich war die Frau, als sie feststellte, dass in dem Laib Brot lauter Goldstücke vorhanden waren.  So gab es an diesem Morgen schon zweifache Freude bei den Müllersleuten.

Und wie es der Berggeist vorausgesagt hatte: Gegen Abend blies ein kräftiger Wind, der die langen Flügel der Mühle so flott bewegte, dass das Gepolter der Mahlsteine weithin zu hören war. Die Hilbersdorfer Bauern atmeten auf.  Endlich würde der Christian ihnen das so dringend benötigte Mehl liefern können.  Doch sie staunten gar sehr, als sie erfuhren, dass ihr Mehl schon zu Abholung bereit stände.  Und vom Windmüller hörten sie auch, wer ihr Getreide so schnell ausgemahlten hatte.  Da erinnerten sich die Hilbersdorfer an Berichte alter Leute, die lauteten, dass in früheren Zeiten tatsächlich die Holzmännchen, die kleinen Berggeister des Königshainer Gebietes, Menschen aus Notlagen geholfen hatten, aber Bösewichter auch übel straften.  Also gab es diese Zwerge in den hiesigen Bergen immer noch.  

Eine weitere Freude erlebte Christian Adam wenige Tage nach seiner Bekanntschaft mit dem fremden Wandersmann.  Zu ihm kam ein neuer Müllergeselle, der sich gut in der Mühle einlebte, sein Handwerk ebenfalls zur Zufriedenheit des Meisters erledigte und auch ein guter Freund der Müllerskinder wurden.

Als der Windmüller im nächsten Jahr die Mühle erneuern wollte, erinnerte er sich des Vorschlages des sonderbaren Gastes, den er vor Jahr und Tag beherbergte.  Noch halb zweifelnd an der Wahrhaftigkeit der damals geäußerten Worte steckte Christian Adam den Wanderstab des Fremden auf das Dach.  Und siehe da, tatsächlich erschien nach kurzer Zeit ein Holzmännchen in der Windmühle und wollte wissen, was für Arbeiten zu erledigen wären. Der Müller solle nur das nötige Material bereitstellen.  

So geschah es auch.  Bei hellem  Mondschein erneuerten die  Holzmännchen eines  Nachts die  gesamte Windmühle, die auf ein neues mächtiges Balkenkreuz gestellt wurde und einen starken Sterz erhielt, womit das Mühlengebäude in den Wind gedreht werden konnte. 

 Einige Tausend Holzschindeln mussten für das Dach geschnitten, getränkt und genagelt werden.  Das gewaltige Flügelkreuz vergaßen die Männchen ebenfalls nicht, besaß es doch eine Spannweite von fast 18 Metern. Als letzte Arbeit wurden auch die vielen Zentner schweren Mahlsteine ausgebaut, geschärft und wieder eingesetzt. Ohne die Zauberkraft der Holzmännchen, über die die kleinen Berggeister sicher verfügen mussten, hätte die Erneuerung der Mühle auf dem Kahlen Hügel wohl nicht so schnell und gut geschafft werden können.

Als die Hilbersdorfer anderen Tages zum Hügel sahen, staunten sie nicht wenig, dort eine neue Mühle zu erblicken. Die meisten Bewohner des Ortes ahnten jedoch, dass diese Veränderung nur das gelungene Werk der fleißigen und dankbaren Holzmännchen war.  Als Lohn hatten die Männchen vom Müller bloß einen Sack Mehl verlangt, denn sie aßen gern frisches Brot.  Und so lange das Müllerpaar lebte, tauchten die Holzmännchen immer wieder einmal auf und holten sich zur Nachtzeit etwas Mehl aus der Mühle, wofür sie jedoch jedes Mal mit zwei Goldstücken bezahlten. Den Berggeist hat der Windmüller aber nie mehr zu Gesicht bekommen.  

Das nächtliche Würfelspiel  (Döbschütz, Heideberg und Arnsdorf)

Der Junker Johann Caspar von Nostitz, gegen Ende des 17.  Jahrhunderts Besitzer mehrerer Dörfer, zu denen auch Döbschütz und Arnsdorf gehörten, war häufig auf Reisen. Von Ackerbau und Viehzucht verstand das adlige Herrchen nicht allzu viel, dafür war er ein Könner im Ausgeben der von den leibeigenen Bauern erpressten harten Taler und Silbergroschen. Damit die Bäuerlein in der Zeit seiner Abwesenheit nicht allzu übermütig wurden, besaß er in der Gestalt des grobschlächtigen Vogtes Kappler einen Mann, der für pünktliche Erledigung der verhassten Fronarbeit und Zinszahlung weithin bekannt war und damit sorgte, dass die Kasse seines Herrn niemals leer wurde.  Dass bei dieser Tätigkeit natürlich auch für ihn persönlich ein finanzieller Vorteil herausspringen musste, war dem Vogt die selbstverständlichste Sache der Welt.

Dieser Kappler, der seinen Amtssitz in einem kleinen Wirtschaftsgebäude des Arnsdorfer Rittergutes hatte, war nun wieder einmal in Sachen Zinsabholung bei den Döbschützern, wo ihm die Bauern, Gärtner und Häusler mit verdrießlicher Miene im Kretscham ihre hart erarbeiteten Taler, Groschen und Pfennige abliefern mussten. So kam es, dass sich an jenem Tag des Vogtes Geldkatze immer praller füllte, während die Beutel der Döbschützer dafür um so magerer wurden. Doch wenn die Hiesigen einmal im Wirtshaus waren, überkam sie dann doch das Verlangen, all den Ärger über der Welt Ungerechtigkeit und des Tages Hitze durch einen kühlen Trunk herunterzuspülen.  Bei einem Krug Bier blieb es aber nicht, wobei weitere Münzen in den allzeit offenen Beutel des Schenkwirtes sprangen.  So kam es, dass es nicht lange dauerte, bis in der Gaststube bald ein lautes Stimmengewirr ertönte. Der Kretschmer musste dann auch noch die Würfel bringen, die dafür sorgten, dass bei diesem wohl vom Teufel erdachten Spielchen die noch vom Zins verschonten Groschen und Pfennige recht häufig ihre Besitzer wechselten.

Der Vogt, dem durch das viele Reden beim Zinskassieren die Kehle ganz trocken geworden war und der außerdem auf dem langen Tisch am Fenster bei den Döbschützern noch so manches Geldstück sah, das er insgeheim auch gern in seinem Lederbeutel gehabt hätte, hielt es auf seinem Platz nicht mehr aus.  Vom eilig hin- und herlaufenden Wirt ließ er sich einen großen gefällten Bierkrug geben, den er mit wenigen Schlucken leerte.  Mit neu aufgefülltem Humpen ließ er sich dann bei den Zechern und Würfelspielern nieder, die der Vogt ein paar Stunden zuvor erheblich an Geld erleichtert hatte.  

Anfangs war das den Döbschützern gar nicht recht, dass der Kappler sich in ihrer Runde mit breit machte. Aber als dieser seinen vollen Geldbeutel auf den Tisch knallte und auch nach Würfeln verlangte, keimte bei manchem Bäuerlein die Hoffnung, durch ein Spielchen vielleicht doch wieder in den Besitz jener Summe zu gelangen, die es vorher dem Vogte hatte unfreiwillig übergeben müssen.

Das Glück war dem Vogte des Arnsdorfer Junkers an diesem Abend jedoch nicht hold. Anstatt, wie gehofft, die den Döbschützern noch verbliebenen Groschen und Pfennige restlos in seinen Besitz zu bringen, musste er immer häufiger in die eigene Geldkatze greifen, um die Spielschulden zu begleichen. Der schnelle Trunk und sein unerwarteter Verlust beim Würfelspiel hatten ihn aber immer mehr in Leidenschaft versetzt.  Was kümmerte es den Kappler im Augenblick, dass es eigentlich überwiegend das Geld seines Herrn war, welches er am Tisch verlor.  Mit aller Gewalt wollte er das Glück zwingen und den bisherigen Verlust in Gewinn ummünzen.  Doch auch der Einsatz des letzten Talers war vergebliches Bemühen. Ärgerlich zog er sein ledernes Wams aus und setzte es als Pfand. Doch die Mitspieler gingen nicht mehr darauf ein.  Einerseits hatten sie genug gewonnen, und zum anderen war es schon sehr spät geworden.

Da sich nun alle in der Wirtsstube zum Heimgang rüsteten, blieb auch dem Vogte nichts anderes übrig, als den leeren Beutel einzustecken. Missmutig torkelte er aus der Gaststube und rief im Weggehen wütend den Döbschützern zu: "Spielen muss ich heute noch einmal, und wenn ich mir den Teufel dazu holen soll!"

Er hatte in dem vom vielen Bier benebelten Kopf wohl selbst nicht geglaubt, wie schrie]] seine unbedachten Worte Wirklichkeit werden sollten. Es war nahe um die Mitternachtsstunde, als der Kappler den Fußweg zum Heideberg hinauftorkelte und den er vorher überwinden musste, wenn er nach Arnsdorf ohne großen Umweg gelangen wollte. Auf jenem Berg befanden sich damals noch gewaltige Felsblöcke. Bei einem dieser mächtigen Granitfelsen sah der Vogt im hellen Mondenschein wirklich und leibhaftig den rothaarigen Höllenfürst hocken, der mit seiner riesigen Krallenhand in einem großen Haufen von Goldstücken wühlte.

Dem sonst nicht ängstlichen Kappler war plötzlich ganz komisch zumute, und das Herz schlug ihm bis zum Hals hinauf, als der Böse ihn anrief: "Nun Vogt, du wolltest mit mir ein Spielchen machen. Komm, hier ist viel zu gewinnen! Diesen Haufen Goldstücke setze ich gegen deine Seele!"

Dem Vogte war es anfangs bei dem Vorschlag des Luzifers gar sehr mulmig, und viel lieber hätte er Fersengeld gegeben. Aber er sah keinen Ausweg und musste wie gebannt beim Felsen bleiben. Doch geblendet von der Menge der im Mondenschein blinkenden Goldstücke und von der Möglichkeit erregt, seinen vorhin im Döbschützer Kretscham erlittenen Verlust um mehr als das Zehnfache wieder wettzumachen, überwand er allmählich seine ängstliche Zurückhaltung. Der Vogt fasste sich ein Herz und erwiderte dem Beelzebub kurz: "Der Spieleinsatz gilt, jedoch wirf du zuerst!"

Grinsend zog der Teufel einen steifen Lederbecher aus seinem weiten Mantel hervor, in dem sich drei Würfel aus Menschenknochen gefertigt befanden. Sicherlich stammten sie von ehemaligen Bösewichtern, denn über fromme Verstorbene hatte der Höllenfürst ja keine Gewalt. Mit einem höhnisch-meckernden Lachen, das dem Kappler durch Mark und Bein ging, stürzte Luzifer den Becher auf einen platten Felsbrocken und warf zwei Sechsen und eine Fünf.  An der Miene des Teufels konnte man aber erkennen, dass er mit dem hohen Wurf trotzdem unzufrieden war. Nun kam der Vogt an die Reihe.  Er befürchtete ein schreckliches Ende.  Wie sollte er den Höllenfürsten bei solch einem Wurf noch überbieten können. Mit zitternden Händen und voller Verzweiflung raffte der Kappler die knöchernen Würfel zusammen, schüttelte sie lange im Becher - sich schon verloren glaubend - und warf ein Auge mehr als der Teufel.  Tatsächlich!  Drei Sechsen waren auf der Felsplatte zu sehen.  Im selben Augenblick zeigten die Klänge einer fernen Kirchturmglocke die zwölfte Nachtstunde an.  Da war des Luzifers Erdenaufenthalt abgelaufen.  Mit einem lauten Knall, Schwefelgestank und wütendem Grollen über die ihm entgangene Seele verabschiedete sich der Böse plötzlich in sein Höllenreich und ließ dem noch ganz benommenen Vogt das viele Geld zurück.

Als dieser sich aber von dem aufregenden nächtlichen Würfelspiel etwas erholt hatte und mit gierigem Blick und zitternden Händen die zahlreichen Goldstücke in seinen Beutel und die Taschen des Wamses füllen wollte, da griff er jäh in einen großen, stinkenden Haufen Dreck. So führt der Teufel letzten Endes alle an, die sich mit ihm einlassen, auch wenn es anfangs scheint, als hätten sie gewonnen.

Die Seele des Vogtes wird der Teufel wohl aber letztendlich doch noch bekommen haben. Trunk und vermehrte Spielleidenschaft brachten ihn später dahin, dass er immer tiefer in die Kasse des Herrn hineingriff , anstatt sie zu füllen, so dass der Junker sich doch über ihren mageren Inhalt wunderte. Eine Überprüfung und peinliche Befragung vor dem Görlitzer Gericht deckte die vielen Unredlichkeiten des Vogtes auf. Deshalb kam es, dass er eines Tages mit dem Strick des Henkers Bekanntschaft machte und Luzifer hämisch grinsend am Galgen schon heimlich auf die schmutzige Seele des Baumelnden wartete, damit sie ihm nicht noch einmal entwischte.

Der überlistete Satan (Arnsdorf und Prachenau) 

Das Überqueren von Flussläufen war in früheren Jahrhunderten oft ein besonderes Problem. Im Sommer bei niedrigem Wasserstand konnte man an einer seichten Stelle ohne große Mühe ans andere Ufer gelangen. Führte der Fluss jedoch mehr Wasser, mussten Brücken zum Überqueren benutzt werden, und diese gab es j a nicht überall.  Brücken, besonders solche aus Stein gemauert, waren schwierig zu errichten, ihre Bauzeit dauerte verhältnismäßig lange, und sie kosteten den Anliegern ein recht schönes Sümmchen.

So gab es damals aus den genannten Gründen zwischen den Amsdorfer und Prachenauer Fluren gleichfalls nur eine dürftige Holzbrücke, kaum gerade so breit, dass ein Fuhrwerk auf die andere Flussseite gelangen konnte.  Es kam aber auch leider vor, dass reißende Hochwasser des Schwarzen Schöpses diesen einfach gebauten Übergang wegrissen.  Dann war guter Rat teuer, denn bis eine neue Brücke entstand, vergingen in jener Zeit oft viele Wochen.

Just nach solch einem Hochwasser war Matthias, der älteste Sohn des Prachenauer Schneiders, wieder einmal unterwegs, um sein Mädchen in Arnsdorf zu besuchen, welches er auf der vorjährigen Kirmes beim Tanz im dortigen Gerichtskretscham kennen gelernt hatte und die er in diesem Jahr zu seiner lieben Frau machen wollte.  Aber vorerst musste er ja noch mit den Eltern der hübschen Marie sprechen, damit auch sie ihre Einwilligung für den Ehebund gaben.

Nun hatte der ansehnliche Bursche noch einen jungen Ziegenbock bei sich, den er dem Vater des geliebten Mädchens für Zuchtzwecke als Geschenk übergeben wollte.  Doch das Hörnervieh war unterwegs recht störrisch und riss sich sogar einmal von der Leine los, so dass Matthias Mühe hatte, es wieder einzufangen.  Deshalb kam er ziemlich verdrießlich zum Schwarzen Schöps. Doch was musste er dort zu seinem Schreck feststellen?  Das jüngste Hochwasser hatte die Holzbrücke weggerissen.  Wie sollte er nun an das andere Ufer gelangen, wenn die Wasser des Schwarzen Schöpses immer noch tückisch gurgelten?  Wer wusste, wie die Brücken in den benachbarten Dörfern nach der schlimmen Flut aussahen?.  Was nun?

Als der Schmiedesohn so missmutig die wenigen noch vorhandenen Trümmer des einstigen Flussüberganges betrachtete, kroch mächtiger Unmut über sein Pech in ihm hoch.  Ganz ärgerlich rief er deshalb aus: "Ich wollte, der Teufel wäre da und baute mir eine neue Brücke über den Schöps!"

Kaum waren diese verhängnisvollen Worte über seine Lippen gekommen, da stand der Leibhaftige auf der anderen Flussseite und krächzte: "Du hast mich gerufen, und deinen Wunsch habe ich vernommen.  Ich kann dir eine Brücke über das Schöpswasser bauen.  In Holz ist sie in einer knappen Stunde fertig, aus Stein könntest du sie allerdings erst heute Abend benutzen.  Also entscheide dich!  Wie soll ich sie errichten?"  

Dem jungen Mann fiel die Wahl nicht schwer, denn er wollte ja so rasch wie möglich zu seiner Braut und ihren Eltern gelangen.  Außerdem hatte er noch den störrischen Ziegenbock zu bändigen. Deshalb antwortete er Luzifer: "Baue mir so schnell du kannst eine Holzbrücke über den Fluss! Ich muss rasch ins Nachbardorf!" Doch bevor sich der Teufel an die Arbeit machte, wollte er mit dem ungeduldigen Burschen über den Lohn einig werden.  Ihn gelüstete es nach der Seele des jungen Mannes. 

Er forderte aus diesem Grunde: "Bevor ich mit dem Bauen beginne, versprich mir, dass ich das Lebewesen erhalte, welches zuerst über die Brücke hinübergeht." Der Satan nahm an, dass es selbstverständlich der Bursche sein würde.  

Matthias wollte in seiner Eile sofort das Versprechen geben.  Doch urplötzlich besann er sich und dachte erst einen Augenblick nach, was Luzifer mit seinem Wunsch wohl bezweckte.  Als gewitzter Bursche erkannte er auch gleich die Hintergedanken des geschwänzten Teufels.  Sein Plan, diesen zu überlisten, war schnell gefasst.  Deshalb ging der Schmiedesohn auf die Forderung des Beelzebub scheinbar ein, worüber sich dieser so freute, dass der Brückenbau vor den erstaunten Augen des Matthias noch eher fertig war, als es Luziferversprochen hatte.  

Stolz betrachtete der eitle Satan sein Werk und rief mit seiner heiseren Stimme dem jungen Mann zu: "Die Brücke ist fertig.  Du kannst sie benutzen!" Der Schneidersohn schritt nun auf die Holzbrücke zu.  Unmittelbar vor ihr zog er mit aller Kraft den widerspenstigen Ziegenbock zu sich heran, gab ihm einen tüchtigen Schlag mit der Gerte über den Rücken und ließ ihn augenblicklich los.  Vom plötzlichen Schmerz gepeinigt, machte der Bock einen Sprung in die Höhe und sauste im Blitztempo über die Brücke.  

In diesem Moment bemerkte der auf sein Opfer lauernde Teufel, dass ihn der Prachenauer Bursche überlistet hatte, denn das Lebewesen, welches zuerst die Brücke überquerte, war leider der Ziegenbock.  An dem jungen Mann konnte er sich nach den höllischen Gesetzen nun nicht mehr vergreifen.  In seiner Wut packte Luzifer deshalb den meckernden Bock an den Hörnern und schleuderte ihn so hoch in die Luft, dass sich dieser beim Herunterkommen bestimmt das Genick gebrochen hätte, wenn er nicht bei dem unfreiwilligen Höhenflug in den Holzmühlenteich gefallen wäre.  Matthias konnte dann dort seinen nassen Ziegenbock retten, der nach diesem Bad von Minute an friedlich wie ein Lamm neben ihm hertrottete.  Vom Satan war aber weit und breit nichts mehr zu sehen.  Er war wutentbrannt in sein Höllenreich zurückgekehrt.

Der Schmiedesohn gelangte nach diesem glücklich überstandenen Abenteuer zu seiner Braut u nd ihren Eltern, die den Bund der jungen Leute auch segneten.  Die Arnsdorfer freuten sich über die neue Brücke, die ihnen keine Zeit und kein Geld gekostet hatte.

Der Teufel jedoch konnte seine Schlappe am Schwarzen Schöps nicht vergessen und wartete nur auf eine passende Gelegenheit, sein umsonst errichtetes Bauwerk zum Nachteil der Benutzer wieder zu zerstören.  Und diese Möglichkeit ergab sich noch im Sommer des gleichen Jahres.  Nach wochenlanger Trockenheit und großer Hitze sorgte Luzifer dafür, dass beim ersten Gewitter nach der schlimmen Dürre ein Blitz in die ausgedörrte Holzbrücke einschlug und diese zum allgemeinen Verdruss der Arnsdorfer und Prachenauer in Flammen aufging.  So blieb den Bewohnern beider Ortschaften nichts anderes übrig, als recht bald eine neue Brücke und dieses mal aus Stein zu errichten, die jederzeit Hochwasser und Blitzen standhalten konnte.

Der Postillion und der Schatz auf der Landeskrone (Buchholz)

Vor ungefähr zweihundert Jahren lebte in Krischa, dem heutigen Buchholz, ein Postillion mit Namen Matthes, der bei der für ihn naheliegenden Poststation Rothkretscham seine Anstellung hatte.  Von dort aus beförderte er auf dem bekannten Handelsweg "via regia" Reisende und Fracht in Richtung Bautzen bis Dresden oder nach Görlitz.  Da Matthes ein lustiger und seinen Dienst gewissenhaft vergehender Postillion war, reisten viele Kaufleute, Handwerker, Schauspieler und andere Fahrgäste gern mit ihm.  Von diesen Postkutschenbenutzern hörte er manch tolle Geschichten, Schnurren, aber auch sagenhafte Berichte über Zauberer, Hexen, verborgene Schätze und anderes mehr.

Auf diese Weise erfuhr Matthes auch eines Tages durch einen alten Handelsherrn, der wohl ein verkleideten Berggeist war, vom Schatz des Zistibors auf der Landeskrone  und wie dieser zu finden sei. Er bat allerdings, davon keinem anderen Menschen etwas zu erzählen. So sollte zur mitternächtlichen Stunde des Johannistages (24. Juni) auf dem Berge eine wunderschöne Blume wachsen, und zwar an der Stelle, wo der vielbesprochene Landeskronenschatz verborgen läge. Hat man dann noch drei ganz schwarze Tiere bei sich, nämlich eine Katze, einen Ziegenbock und einen Hund, so tut sich der Eingang von selbst auf. 

Von dem Schatz im tiefen Felsengewölbe kann der glückliche Finder sich soviel nehmen, wie er will.  Nur muss sich der Betreffende beim Weggehen hüten, einen Blick rückwärts zu tun, wenn auch das Toben der Berggeister noch so furchtbar anzuhören sein sollte. Er wäre sonst im unterirdischen Gewölbe gefangen und müsste dort den geisterhaften Hütern des Schatzes für immer zu Diensten sein. Der Postillion Matthes muss wohl die Schilderung des betagten Handelsherrn überprüft und dabei Glück gehabt haben.

Denn die Sage berichtet weiter, dass Matthes sich jede Johannisnacht in aller Heimlichkeit auf die Landeskrone begab und von dem Schatz des einstigen Herrn des Berges, Zistibor, als bescheidener Mensch aber nur soviel mitnahm, als er das Jahr über für sich und seine Familie zum auskömmlichen Leben benötigte.  

Trotz aller Vorsicht und Verschwiegenheit des Krischaer Postillons erfuhren nach und nach allerhand Leute von seinem seltenen Glück und bestürmten ihn mit vielen Bitten und Schmeicheleien, ihnen das Geheimnis des Schatzes mitzuteilen.  Auch die Weißenberger Bürgerschaft glaubte fest und steif den Gerüchten über Matthes und schickte sogar Abgeordnete zu ihm, die ihm viel Geld boten, wenn er sie zur nächsten Johannisnacht zur Schatzkammer auf der Landeskrone mitnähme.  Doch der Postillion Matthes hat trotz aller Bitten und Versuchungen sein Geheimnis über den Schatz niemandem preisgegeben und es bei seinem Tode im Jahr 1826 mit ins Grab genommen. So ruht der Schatz des Zistibors wahrscheinlich noch heute tief in der Bergspitze der Landeskrone verborgen und wartet auf seinen neuen Entdecker.  

Der Schatz unter der Linde (Melaune und Prachenau)

Bis zum Jahre 1910 gab es am Wege von Prachenau nach Melaune eine mächtige, von vielen Stürmen und mehreren Blitzeinschlägen zerzauste Linde, die von alten Leuten allgemein als "Schatzlinde" bezeichnet wurde.  Wie sie zu diesem Namen kam, erzählt folgende Sage:

Vor vielen Jahren befand sich der Korbmacher Martin Räde, wohnhaft in einem kleinen Häuschen am Ochsensteg, auf dem Weg von Prachenau nach Melaune. Beim dortigen Pfarrer wollte der Mann die Geburt seines sechsten Kindes ins Kirchenbuch eintragen lassen. Der Korbmacher wusste bis zur Stunde nicht genau, ob er sich über den Familienzuwachs freuen sollte oder ob dieser Anlas zu noch größerer Sorge wäre, wie die zahlreichen Mäuler zu Hause alle satt zu bekommen seien. Da Martin Räde von heiterem Charakter war, entschied er sich zu guter Letzt, den jüngsten Familienzuwachs mit Fröhlichkeit aufzunehmen, noch dazu, wo nach fünf Mädchen nun endlich ein Söhnchen in der einfachen Wiege lag.

Bei all den Überlegungen in seinem Dahinschreiten hatte der Mann gar nicht bemerkt, dass plötzlich ein Unwetter aufgezogen war und die ersten Regentropfen ihn zwangen, nach einem schätzenden Dach Ausschau zu halten.  Zu seiner Beruhigung erblickte er am Rande des Weges eine große Linde. Dorthin eilte er, um unter ihrem schützenden Blätterdach das Ende des heftigen Regengusses abzuwarten.

Als der Korbmacher vor Langeweile so in Gedanken mit dem Fuß im Grase scharrte, glänzte es mit einem Male zwischen den Gräsern.  Was dort so schimmerte war ein Goldstück - ein Dukate.  Wo solch eine wertvolle Münze liegt, können vielleicht noch weitere vorhanden sein, dachte der Mann bei sich.  Deshalb untersuchte er nun das Gras unter der Linde sorgfältig.  Zu seiner Freude fand er noch drei Taler.

So schnell das Unwetter aufgezogen war, so rasch verschwand es auch wieder.  Durch die Münzfunde der dringendsten finanziellen Sorgen für die nächsten Monate ledig, konnte Martin Räde mit erleichtertem Herzen seinen Marsch nach Melaune fortsetzen.  Beim dortigen Pfarrer erledigte er sein Vorhaben, bezahlte die üblichen zwei Groschen für die Eintragung ins Kirchenbuch, regelte den Termin der Taufe für seinen kleinen Sohn, der den Namen Albrecht erhalten sollte, und beeilte sich dann mit dem Heimweg nach Prachenau.  "Was wird meine Frau für Augen machen, wenn ich ihr die gefundenen Münzen auf den Tisch. in der kleinen Stube lege", murmelte der Korbmacher so vor sich hin.

Währenddessen kam er auf seinem eiligen Heimweg wiederum an der mächtigen Linde vorbei, die ihm vor kurzem noch Schutz vor dem Unwetter gewährt und ihn so unverhofft beschenkt hatte. Auf einmal kam es Martin Räde vor, als wenn eine geheimnisvolle Stimme ihm zuflüsterte: "Hier liegt noch mehr.  Du musst nur die richtige Stelle finden!". So sehr sich der Mann auch umblickte, es war außer ihm keine Menschenseele zu bemerken.  Sollten gar Zwerge, die sich nach alten Erzählungen auch unsichtbar machen konnten, ihm diesen Hinweis gegeben haben?  Der Korbmacher nahm sich deshalb vor, den rätselhaften Vorschlag auf weitere Münzfunde zu befolgen und am Nachmittag des nächsten Tages bei der Linde sein Glück zu versuchen.  Deswegen wollte er auch vorläufig von den gefundenen Münzen daheim noch nichts erzählen.

Anderentags gab Martin Räde seiner Frau und den Kindern für das erneute Weggehen als Grund an, er wolle wegen geeigneter Weidensträucher nochmals Ausschau halten, um im Spätherbst wieder genügend Ruten zum Arbeiten zu haben.  Heimlich nahm der Korbmacher aber Hacke und Schaufel mit. Sein wirkliches Vorhaben hatte er ja der Familie verschwiegen. Sollte das Graben bei der Linde tatsächlich ergebnislos verlaufen, wäre die Enttäuschung darüber nur bei ihm.

Mit Hacke und Schaufel grub und hackte der Mann am Nachmittag im Schweiße seines Angesichts den Boden bei der Linde um.  Lange währte schon sein fleißiges Arbeiten, ohne auch nur auf die geringste Münze zu stoßen.  Seine Hoffnung auf Erfolg wurde immer geringer.  Ziemlich enttäuscht über das vergebliche Suchen wollte er das Graben nur noch bis zum baldigen Abendläuten ausdehnen.  Doch auf einmal schlug Martin Räde mit der Hacke unvermutet auf etwas Hartes.  Im Zweifel, ob er nur einen großen Stein mit der Pickhacke getroffen hatte, schaufelte der Mann doch den Boden von der betreffenden Stelle weg.  Da bemerkte der Korbmacher im Erdreich eine kleine eiserne, schon stark angerostete Truhe.  Sorgfältig legte er sie gänzlich frei, jedoch nur mit erheblicher Mühe ließ sie sich öffnen.  Zum Vorschein kam im Inneren der Truhe ein modrig riechender größerer Lederbeutel, der mit Gold- und Silbermünzen aus der Zeit des Kurfürsten August des Starken gefüllt war.

Da staunte nun Martin Räde über den Schatz, den er unter der alten Linde gefunden hatte, und bedankte sich im Stillen bei der geheimnisvollen Stimme, die ihm die Aufforderung zum Graben zugeflüstert hatte.  Wie und wann die kleine Truhe mit den vielen Münzen einstmals hier ins Erdreich gelangte, konnte sich der Korbmacher nicht erklären.  Er machte sich deswegen jedoch keine unnötigen Gedanken.  Große Freude herrschte in der Familie, als der glückliche Schatzgräber heimkehrte und vor den staunenden Augen seiner Frau und der Kinder die Truhe mit den wertvollen Münzen auf den Tisch stellte.  Nun hatte Martin Räde mit seiner Familie ein glückliches Leben, was ihn aber nicht zur Faulheit, zum Hochmut oder Geiz verleitete.  Er übte weiterhin sein gewohntes Handwerk aus, blieb bescheiden und half auch manchem Notleidenden im Dorf aus seiner schwierigen Lage.  So hatte der Korbmacher bis an sein Lebensende einen guten Ruf als fleißiger und hilfsbereiter Mensch.

Seit dem Münzfund des Prachenauer Korbmachers wurde deshalb die große Linde am Wege nach Melaune allgemein als "Schatzlinde" bezeichnet.